Irbit - Heidelberg

Abschied
aus Irbit

Nach über einer Woche in der fast familiären Kleinstadt Irbit, wo ich soviel Hilfe erfahren habe, breche ich nun auf. Einige Tausend Kilometer liege vor mir. Der Beiwagen ist voll gepackt und ich bin in voller Motorradmontur. Noch die letzten Abschiedsfotos vor dem Stadtwappen von Irbit und ab geht es. Johann, Ravil und Sergej begleiten mich die ersten 25 km im Lada. Dann bin ich allein unterwegs, irgendwo im Ural 200 km von Jekaterinburg, meinem Tagesziel entfernt. An der Strasse sind viele kleine Dörfer mit Holzhäusern. Der Asphalt ist wellig und hin und wieder gibt es auch ein Schlagloch. An die Sitzhaltung muss ich mich noch gewöhnen. Noch tun Hintern und Rücken weh und die Füsse schlafen ein. Aber mit der Zeit werde ich wohl eine entspanntere Haltung einnehmen. Notfalls kann ich mich ja gestreckt auf den hinteren Sattel setzen. Sieht zwar fürchterlich aus, ist aber Abwechslung. Mit 60 km/h tuckere ich auf Jekaterinburg zu. Es ist verdammt heiss in der Motorradmontur, wenn man nur 60 fährt und so ein Windschild vor sich hat.
Tschüss Irbit Tschüss Irbit


Jekaterinburg
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Ufa

Nach einem kleinen Besuch bei der Vertretung der Heidelberger Druckmaschinen in Jekaterinburg, die mich sehr freundlich empfingen, geht es auf die Strasse nach Ufa. Entegegen meiner Planung brauche ich 2 Tage für die Strecke. Aus dem dicht bewaldeten, hügeligen, nördlichen Ural geht es in den nur noch spärlich bewaldeten, welligen Südural. Ich fahre vorbei an vielen Feldern mit aufgetürmten Heuhaufen. Die Strasse ist teilweise katastrophal, klodeckelgrosse, knöcheltiefe Schlaglöcher im Asphalt, Spurrillen so tief wie Abwasserinnen bis hin zu einfacher Piste ohne jeglichen Ansatz von Asphalt. Die schweren Lkw ballern an mir vorbei, während ich mit 20 km/h versuche umbeschadet zwischen den Schlaglöchern durchzukommen. Am Strassenrand sitzen häufig alte Frauen und verkaufen in 2 Liter Gläsern Honig. Die Brauntöne des Honigs schimmern im gleissenden Sonnenlicht. Zwischendurch jedoch mal wieder frisch geteerter Asphalt. Da freut sich mein Hintern und ich beschleunige auf bis zu 70 km/h. Nach 200 km tanke ich das erste Mal. Bisher verbrauche ich ca. 6 Liter auf 100 km, ein exzellenter Schnitt für eine Vorkriegsmaschine. Ich tanke, wie mir Ravil empfohlen hat, den billigsten Sprit, 76 Oktan für etwas über 0.30 EUR der Liter. Beim Tanken muss ich erst schätzen wieviel Liter ich brauche, dann bezahlen und schliesslich die angegebene Menge tanken.

Bis zur Hauptverkehrslinie M5 habe ich Ruhe, dann beginnt der Kampf: ständiges Überholen, fiese Abgase, ausgelutschter Asphalt. Teilweise geht die Strasse schnurstracksgerade bis zu Horizont. Mit 70 km/h tuckere ich durch die Landschaft und liefere mir heisse Rennen mit den stinkigen Lkw. Mehrmals werde ich von Verkehrpolizisten bei der üblichen Kontrolle angehalten. Meist wird gefragt, wo ich denn hin will mit der Maschine und was das für ein Gerät sei. Wenn ich dann sage "Ural", werde ich meist gefragt, warum ich mir eine russische Maschine kaufe, wo es doch in Deutschland so gute Motorräder gibt. Das ist der Punkt, der mich fasziniert. Ich schaffe es die Russen dazu zu bringen, die sonst eher unübliche Frage nach dem Warum zu stellen.
Panorama Tartastan
Horizont Honig


Ufa
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Samara

In 200 km Tagesetappen geht es voran. Vielmehr ist nicht drin, da der Strassenbelag mich und die Allmächtige zu sehr durchschüttelt. Teilweise krieche ich auf der Bankette entlang, da der Asphalt so wellig ist. Die schweren Lkw rauschen hingegen klappernd mit 60 km/h an mir vorbei. Dann folgt wieder ein Stück frisch geteerten Asphalts und ich beschleunige auf 80 km/h und kann den ein oder anderen Lkw wieder einsammeln. Aus dem welligen Südural geht es in die flache Volgaebene. Statt Wald säumen nun riesige Felder mit Sonnenblumen und Korn die Strasse. Zwischendurch gibt es herrliche Fernsicht, bis zu 100 km weit. Insbesondere das Fahren in den Sonnenuntergang hinein geniesse ich sehr. Das Farbenspiel zwischen Himmel, Wolken und Landschaft ist einmalig.

Auf halber Strecke zwischen Ufa und Samara komme ich in einem kleinen, sauberen Motel für ca. 8 EUR unter. Als ich mir an der Türschwelle fürchterlich den Kopf stosse, frage ich nach Eis zum Kühlen. "Hier haben wir kein Eis, aber frag mal im Cafe dort." Im Cafe gibt es auch kein Eis, nur kaltes Bier. "Kaltes Bier???" Das ist natürlich noch besser als Eis. So probiere ich zum ersten Mal Baltika 9, ein leicht malziges, äusserst süffiges Bier.
Sonnenblumen Sonnenblumen
Angler Sonnenuntergang


Samara
km 1440

Das erste, was mir in Samara auffällt, sind die katastrophalen Strassen. Ich fahre Slalom um die unzähligen Schlaglöcher und hoppele im ersten Gang über die völlig ausgelutschten Strassenbahnschienen. Das Fahren in den Städten ist Schwerstarbeit und macht überhaupt keinen Spass. Inmitten der Abgase, Ampeln und Schilder gilt es die Orientierung zu behalten und sich nebenbei noch auf Schlaglöcher, Autos, Strassenbahnen, Busse und Fussgänger zu konzentrieren. Ach ja, und nebenbei sucht man ja noch ein Hotel oder eine Telefonzelle. Nach 2 h wilden Suchens finde ich schliesslich zu Oksana, Andrej und Alessa, die mich herzlich bei sich aufnehmen.

Zum ersten Mal sehe ich die Volga. Am Ufer ist ein kilometerlanger Sandstrand. Auf der gegenüberliegenden Flussseite sind die Dschiguli-Berge zu erkennen. Vielleicht gibt es dort noch die Gams, das Wappentier Samaras. Im Winter wird es um die -30 Grad Celsius. Dann friert die Volga mit einer einmeter dicken Eisschicht zu. Das Stadtbild Samaras ist ein Gemisch aus vielen stilvollen, alten Häusern, teilweise aus Holz, teilweise gemauert, den obligatorischen Plattenbauten und derzeit vielen Baustellen. Der futuristische Bahnhof mag so gar nicht ins Stadtbild passen.

Früher hiess Samara Kubischew, nach selbigem Bolschewisten benannt, dessen riesige Statue vor dem Operntheater zu sehen ist. Im Zweiten Weltkrieg war Samara als Ersatz Regierungssitz vorgesehen. Stalin liess sich hier mehrere Stockwerke unter der Erde einen Bunker bauen, ohne ihn jedoch jemals zu nutzen. Heute kann man die Treppen herunter in des Halunkens Arbeitszimmer gehen. Nebenan ist das Regierungszimmer mit Plätzen für die obersten Generäle und mit einer Kare des Frontverlaufes. Der penetrante Modergeruch macht einem unweigerlich klar, dass das alles zum Glück Vergangenheit ist.
Gams Volgaufer Kubischew
Samara Samara
Samara Samara
Stalins Bunker Stalins Bunkerr Stalins Bunker
Halunke Halunke


Samara
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Saratov

Erst am späten Nachmittag komme ich aus Samara los. Seit 2 Tagen weht von Norden her in eisiger Wind. Das Futter habe ich in die Motorradjacke gezogen, Nierengurt und Halstuch angelegt. Trotzdem friere ich unterwegs. Der Tankwart hat ein Erbarmen mit mir, als ich mit zittrigen Händen Öl nachfülle, und bittet mich zum Tee in seine Bude. Er stammt aus Tschetschenien und ist eigentlich Wasserbauingenieur. Wir diskutieren (soweit mein Russisch das zulässt) über die Zustände in Russland. Auch diesmal brauche ich zwei Tage für die Strecke. Während der Übernachtung im Motel, kann ich die Allmächtige auf einem bewachten Parkplatz abstellen. Nikolai, der Parkplatzwächter, fragt erst einmal neugierig, wo ich her komme und wo ich mit dem Motorrad hin will. Seine Tochter lebt in München, sagt er.

Häufig führt die Strasse über Bahngleise. Dann geht es immer voll in die Eisen und im ersten Gang wird drübergehoppelt. Als ich einen Lkw Fahrer bei einem Stop frage, was er denn auf seinem Lkw hat, deutet er vor dem Bauch mit beiden Händen eine dicke Kugel an. Klar, Wassermelonen natürlich. Später komme ich auch noch an einer Schneefabrik vorbei. Die produzieren schon mal auf Halde für den langen Winter.
Bahnschienen Schneefabrik


Saratov
km 1680

Vom flachen Ostufer kommend überquere ich die im Sonnenlicht blau schimmernde Volga und fahre auf das hügelige Westufer nach Saratov hinein. Die Strassen sind noch schlimmer als in Samara, Schlaglöcher so gross wie Familiengruften, Strassenbahnschienen, die knöchelhoch aus dem Asphalt lugen. Nachdem ich den ganzen Tag schon durchgeschüttelt wurde, gibt mir das den Rest und ich falle direkt nach dem Duschen todmüde ins Bett.
Saratov Saratov
Saratov


Saratov
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Volgograd

Geschlagene 2 Stunden und etliche Flüche brauche ich, um aus Saratov herauszufinden. Weiter geht es bergauf-bergab auf der Westseite der Volga. Schon fast 1800 km ohne grössere Panne am Motorrad. Das Gefährt ist so zuverlässig, dass man damit einen Krieg gewinnen könnte. Ist ja auch alte deutsche Technik, wobei das mit dem Krieg ja nicht so geklappt hat. Der Bruch der Tachowelle reisst mich aus meinen wilden Gedanken. Tja, daran habe ich natürlich nicht gedacht, als wir die Ersatzteile besprochen haben. Und das, obwohl mir selbiges schon mal in Spanien mit der Yamaha passierte.

In der nächstgrösseren Stadt frage ich in sieben Geschäften nach Ersatz - negativ. "Vielleicht auf dem Markt, aber der hat heute schon zu", bekomme ich zu hören. Mittlerweile ist der Nordwind abgeflaut und es ist wieder heiss. Ich schwitze wie verrückt und bin die Sucherei nach der Tachowelle leid und fahre weiter Richtung Volgograd.

Beim Tanken frage ich noch einmal auf Verdacht nach einer Tachowelle - ebenfalls negativ. Im Strassenrestaurant gegenüber mache ich erst einmal Rast. Als ich anschliessend (mal wieder) Öl nachfülle, kommt der Tankwart mit einem Kumpel an. Der Kumpel meint:"Warte mal hier, ich habe mein Motorrad drüben stehen." Nach einer Weile kommt er zurück mit dem Spenderorgan in der Hand. "Ist aus meiner Dnepr. Müsste passen." "Klasse", freue ich mich und drücke ihm statt der geforderten 50 Rubel 100 in die Hand. In aller Ruhe wird die Transplantation der Tachowelle unter den Augen einiger Neugieriger vollzogen. Als ich dann wieder los will, bekomme ich noch von einer Frau am Strassenrand eine Tüte voll riesiger Tomaten geschenkt.

Dann geht die Fahrt weiter, vorbei an etlichen Melonenverkäufern, die ihre Ware direkt vom Feld am Strassenrand anbieten. Der Duft süsser Honigmelonen strömt durch meinen Helm. Kurz bevor es dunkel wird, halte ich schliesslich auch an einem Stand an und will mir eine kleine Honigmelone kaufen. "Was, du kommst aus Deutschland? Da habe ich ein Geschenk für dich!" Und schon finde ich mich wieder mit drei dicken Wassermelonen und mehreren Honigmelonen im Arm. "Und wie soll ich jetzt fahren", frage ich, überwältigt von der spontanen Freundlichkeit. Daraufhin helfen sie mir die Melonen zu verladen und legen noch eine vierte Wassermelone obendrauf. Der Motor ächzt ganz schön an der nächsten Steigung.
Melonen Melonen


Volgograd
km 2040

Volgatraube heisst der Ort übersetzt. Angesichts der vielen Früchte, die dort wachsen, kommt der Name nicht von ungefähr. Am Strassenrand werden neben den Melonen nun auch etliche Tomaten, Pfirsiche, Äpfel und Auberginen angeboten. Nach nervenaufreibender Hotelsuche fahre ich erst einmal zur riesigen Mutter Heimat, Mamajew Kurgan genannt. Schon von weitem ist die 83 m hohe Betonstatue zu erkennen. Sie ist zusammen mit weiteren Kriegerstatuen auf dem Hügel errichtet worden, auf dem im Zweiten Weltkrieg eine der erbittersten Schlachten stattfand. Damals hiess die Stadt noch Stalingrad. Mir wird schaurig bei dem Gedanken, dass ich über ein Massengrab hunderttausender sinnlos gestorbener Menschen gehe.
Volgograd
Mamajew Kurgan Mamajew Kurgan Mamajew Kurgan
Mamajew Kurgan Mamajew Kurgan

Am Volgaufer ist das Panorama-Museum. Die vielen Geschütze und Armeeflugzeuge weisen schon darauf hin, dass es mal wieder um den grossen, vaterländischen Krieg und die Schlacht um Stalingrad geht. Das Museum ist vollgestopft mit Exponaten, wie Uniformen, Orden, Granathülsen, Briegen, Sturmgeschützen, Maschinengewehren. Auch ein altes Ural-Motorrad, das Militärmodell, hat den Weg ins Museum geschafft. Das Design des Seitenwagens und des Stahlrohrrahmens hat sich bis heute nicht geendert. Oben im Gebäude ist eine 360 Grad Installation des Stalingrader Schlachtfeldes zu sehen. Sie besteht aus einem gemalten Panoramabild, welches in die plastische Installation von Soldaten, Schützengräben, Einschlagskratern und zerfetzten Munitionskisten übergeht. Ein wildes Gemetzel ohne klaren Frontverlauf; zerschossene Panzer, halb im Schlamm versunken; Soldaten, die sich mit blossen Fäusten bekämpfen, dazwischen die gefallenen und verwundeten Kameraden; Ströme von Gefangenen.
Panorama Museum Panorama Museum
Panorama Museum


Volgograd
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Cherkessk

In zwei Tagen reisse ich über 600 km ab. Nach dem Überqueren des Volga-Don Kanals geht es durch endlose Steppe. Im Motel verliere ich im Schach zunächst gegen den Besitzer, Valeri, dann gegen einen Verkehrspolizisten (taktisch sicher nicht verkehrt). Die Strassen werden im Süden besser und ich komme mit 80 km/h gut voran. Die Allmächtige hat einige Startprobleme, so dass mich 2 freundliche Männer aus Dagestan anschieben müssen. Gerade gut in Fahrt, kommt mir eine rote Kelle in die Quere. "Steig mal ab und guck, wie schnell du warst", meint der Polizist. 77 km/h zeigt die Radarpistole an. "Dann geht ja mein Tacho richtig", denke ich, während ein anderer Polizist neben mir Sonnenblumenkerne mümmelt und meinen Pass betrachtet. "Da vorne, weisses Ortsschild. Ab da nur 60 km/h erlaubt", sagt er und schüttet mir ein paar von seinen Sonnenblumenkernen in die Hand. "Thomas, zu schnell", sagt er auf Deutsch. "Straf, 100 Euro", legt er nach. "Wohl etwas hoch gegriffen", denke ich und erkläre ihm, das ich das Geld nicht habe und auf dem Motorrad reise, weil ich mir kein Auto leisten kann. Wir mümmeln beide Sonnenblumenkerne. Meine Verhandlungsposition ist nicht die beste, da nebendran auch noch zwei weitere Polizisten stehen und ich ja wirklich zu schnell war. Die Polizisten würden sicher gerne dabei zugucken, wie ich in der Mittagssonne mein ganzes Gepäck auf der Strasse auspacke. "Weniger", meint der Polizist nach einer Weile des Schweigens, "Dollar?" - "Hab' ich auch nicht." - "Was hast du?"- "Alles was ich habe sind die 1000 Rubel hier." Urplötzlich hellt sich seine Miene auf, als ich ihm den Schein in die Hand drücke. Er schüttelt mir die Hand und wünscht mir gute Reise. Nach einer Quittung frage ich nicht. Auch wenn die ca. 35 Euro vielleicht das Fünffache der üblichen Strafe sind. Egal, ich will weiter. "Wer gut schmiert, der gut fährt!" Gilt auch für meine Ural, die schon über 7 Liter Öl weggeputzt hat.

Am selben Tag noch werde ich an einem Kontrollpunkt erneut angehalten. Diesmal verschwindet der Polizist mit meinen Papieren in einem Betonturm. Ich muss draussen 20 Minuten in der Sonne warten, während ein anderer Polizist mit Maschinenpistole den Eingang zum Turm bewacht und die Wartenden nach und nach hereinruft. Diesmal sind die Mienen eher grimmig und ich bekomme keine Sonnenblumenkerne. In der Fensternische entdecke ich neben dem schwarzweissen Winkstab eine abgewetzte Lederpeitsche. "Was mag wohl in dem Turm vor sich gehen", frage ich mich. Dann werde ich hereingerufen. Im spärlich beleuchteten Innern sitzt ein dicker Polizeichef selbstgefällig hinter einem alten, abgenutzten Tisch. Sonst ist der Raum leer. Auf dem Tisch liegen meine Papiere, sonst nichts. Ich soll mich setzen. Irgendwie geht mir die Lederpeitsche nicht aus dem Sinn. "Ich verstehe schlecht Russisch", sage ich als erstes. Es folgt das übliche Gefrage, wohin, woher. Dann Pause. Bevor meinem Gegenüber noch einfällt, wie er mich ausnehmen kann, frage ich lieber etwas: "Ist es gefährlich dort im Kaukasus, wo ich hin will?" "Nee, kein Problem. Kisslowodsk, Vladikavkas, alles normal", meint der dicke Polizeichef. Erneut Pause. Dann schiebt er mir die Papiere rüber und wünscht "Chastliwawa Putie" (Gute Reise). "Puh, überstanden", atme ich auf und sehe zu dass ich die Allmächtige wieder in Schwung bringe.
Volga-Don Kanal Polizeifrosch


Cherkessk
(Kaukasus)
km 2720

Aus der Volgaebene heraus geht es in den hügeligen Kaukasus. Ich will zumindest einmal die Berge sehen, bevor ich zum Schwarzen Meer fahre. Und ausserdem sind die Menschen im Kaukasus durch ihre besondere Gastfreundschaft bekannt. Es gibt dort viele verschiedene Völker mit jahrtausende alter Geschichte, ein Gemisch von Kulturen und Sprachen. Die meisten sprechen zwar Russisch, haben jedoch eine andere Muttersprache. Vieles ist anders, gar nicht so typisch russisch. Die letzte Etappe ging aufs Material. In Cherkessk lasse ich die Sohlen meiner Stiefel neu kleben, während ich nebendran einem anderen Schuhmacher helfe ein Bügeleisen zu reparieren.

Hier treffe ich auch Rasul, der zum Volk der Alan gehört. Er weiss viel über den Kaukasus, sein Volk und dessen Geschichte. In den Bergen um Cherkessk leben ca. 250 Tausend Alan, die ihre eigene Sprache, das Kcharachai, haben. Die meisten sind Moslems. Vor 800 Jahren war die Region jedoch christlich. So gibt es ausserhalb der Stadt auf einem Felsvorsprung noch eine alte Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Die goldene Kuppel ist aus der Ferne gut zu erkennen. Die Gegend ist geprägt von breiten Flusstälern und teilweise steilen Felswänden. So schlängelt sich auch der grünlich schimmernde Kuban-Fluss durch sein mit runden Steinen besetztes Bett in Richtung Asowsches Meer. Teilweise sind die Berge bewaldet, teilweise mit Wiesen überzogen. Manchmal sieht der Wald auch aus wie im Sauerland. Es gibt viele kleine Dörfer. Kühe, Pferde, Ziegen und Hühner laufen frei auf der Strasse herum. Die Häuser sind nicht wie im Ural aus Holz sondern ausschliesslich gemauert. Zusammen mit Rasul in seinem Lada mit höllisch klapperdem Stossdämpfer fahre ich zu einer der vielen Mineralquellen im Kaukasus. Die Kohlensäure prickelt auf der Zunge und der Geschmack ist deutlich salzig. Soll gesund sein, habe ich gelesen. Also fülle ich einige Flaschen ab, die ich später im Beiwagen einlagere. Der Blick auf den über 5000 m hohen, schneebedeckten Elbrus bleibt mir aufgrund der Wolken jedoch verwehrt.
Materialschlacht Kaukasus
Lada Samara Kaukasus
Strassenfeger Kaukasus


Adler am
Schwarzen Meer
km 3420

Nach rekordverdächtigen 520 km Tagesleistung einschliesslich 10 km Piste, die ich im 1. Gang entlang hoppele, lande ich an der Schwarzmeerküste. Als ich ankomme ist es dunkel. Da das Meer ja schwarz ist, sehe ich erst einmal nichts davon. Dafür finde ich für 16 Euro ein Motel, wo ich meine eigene Sauna und einen Pool habe. Am nächsten Tag geht es dann an der Küste entlang Richtung Sochi, dem Ferienort schlechthin für die Russen. Es geht bergauf-bergab durch unzählige enge Kurven. Auf dem heissen Asphalt wimmern die Reifen den Balalaika Blues. Schweissgebadet zerre ich mit voller Kraft am Lenker, um die Fuhre in die Kurve zu kriegen. Ein "richtiges" Motorrad wäre jetzt natürlich die bessere Wahl. Manchmal versetzt es mich in den Kurven um 2 Meter nach aussen, weil das Vorderrad auf dem welligen Asphalt abhebt. Für die 100 km bis Sochi würge ich zweieinhalb Stunden durch die Mittagshitze. Hin und wieder finde ich jedoch einen Moment, wo ich den Blick auf das blaue Schwarze (?) Meer schweifen lasse oder die tropische Baumvielfalt am Strassenrand bewundere. Und ein bischen macht das Kurvenrutschen ja auch Spass.
Schwarzmeerkueste Kuehe

In Sochi wimmelt es nicht nur von Badetouris, sondern auch von Polizisten. Später erfahre ich, dass Putin gerade in der Nähe ist und daher alle 500 m eine Streife postiert ist. Südlich von Sochi, 20 km vor der georgischen Grenze ist der Badeort Adler. Hier ist es etwas ruhiger als in Sochi. Ich komme bei Tanja unter, die Zimmer an Touris vermietet. Es gibt dort einen grossen Garten mit Weinranken und Kiwibäumen, eine kleine Küche, Bambuswände mit kaputten Kuckucksuhren dran, sonnengewärmtes Warmwasser, einen über 60 kg schweren, Plätzchen fressenden Dobermann und eine Zuneigung suchende Katze. Tanja ist sehr freundlich und redseelig. Sie fährt auf Naturheilkunde ab. So läuft sie schon mal mit einem Kohlblatt auf dem Kopf herum, weil sie Kopfschmerzen hat. Ihre beiden Söhne sind auch gerade da und mit den anderen Gästen zusammen wird schon mal zum gemeinsamen Borschessen einschliesslich Diskussionsrunde mit Wodkaverköstigung eingeladen. Der Borsch mit dem Klecks Saurer Sahne ist köstlich. Nebenbei gibt es noch Knoblauchzehen, die in Salz getunkt und roh gegessen werden. In den Diskussionsrunden lerne ich zwar kaum Russisch, dafür aber einige Bräuche und wichtige Handbewegungen. Wenn man mit dem Zeigefinger von unten gegen den Hals schnippt heisst das soviel wie eine lange Diskussionsrunde führen oder auch schwer trinken. Den Zeigefinger von links nach rechts am Hals entlang führen heisst "viel" oder "genug". Das Quartier ist unweit des Strandes. Dort habe ich nach langer Pause auch mal wieder ein Läufchen gemacht und anschliessend im Schwarzen Meer gebadet.
Pension in Adler Kugelfisch
Ted 60 kg Markt in Adler
Der Markt ist auch sehenswert. Hier gibt es alles, von tropischen Früchten über Fisch bis hin zu Badezimmerarmaturen. Die halbmeterlangen Honigmelonen auf Usbekistan, Torpedos genannt, dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Markt in Adler Markt in Adler
Markt in Adler Markt in Adler

In Adler organisiere ich in Ruhe die Überfahrt in die Türkei. Von Sochi aus geht eine Fähre nach Trabzon. Von dort kann ich vielleicht eine weitere Fähre nach Istanbul nehmen. Ausserdem kann ich jetzt auch mal in Ruhe nach meinem Motorrad gucken. Mittlerweile habe ich schon zweimal die Ventile nachgestellt, was den Ölverbrauch direkt gesenkt hat. Der Tacho hat sich auseinander gerappelt und musste wieder zusammengeschraubt werden. Die Vordergabel habe ich auch wieder gängig gemacht. Der Motor hat mittlerweile eine typische Öl-Schmutz-Patina bekommen. Die Reifen machen noch einen guten Eindruck nach der Kurvenhatz vor ein paar Tagen. Das Vorderradlager sieht noch gut aus, das Fett jedoch nicht so. Es sieht aus wie dunkles Karamel und ist auch entsprechend hart. Die Rücklichtbirne ist schon zum zweiten Mal durchgebrannt. Insgesamt macht die Allmächtige aber noch einen ganz guten Eindruck.


Auf in die Türkei

Nach 4 Tagen in Adler verabschiede ich mich von Tanja und ihrem feierfreudigen Sohn Sascha und mache mich auf den Weg zur Fähre nach Sochi. Nach 1 km bemerke ich, dass das Vorderrad klappert. Am Strassenrand baue ich die Achse aus. Hatte ich doch tatsächlich das Lager falsch herum eingesetzt. Als ich wieder starten will, springt die Kiste nicht an. "Ausgerechnet jetzt, wenn ich zur Fähre will", fluche ich. Schweissperlend schiebe ich das Motorrad auf die andere Strassenseite. Dort ist etwas mehr Platz. Alexej, der dort ein Holzlager bewacht, kommt hinzu und hilft mir. Wir prüfen die Zündkerzen - kein Zündfunke. Dann wechseln wir Zündspule und Zündverteiler. Nach 2 h wildem Geschraube in der prallen Sonne und nicht wenigen Flüchen gucken wir uns ratlos an. Dann fasst Alexej an den Lenker, tritt einmal den Anlasser und der Motor läuft. Es ist dieses Gefühl gleichzeitig vor Scham und Wut im Boden versinken zu wollen. "Der Killschalter! Oh nein!" Hatte ich beim Schrauben am Vorderrad versehentlich den Unterbrecherschalter neben dem Gasgriff umgelegt. Der unterbricht nämlich die Zündung. "Jetzt aber schnell nach Sochi zur Fähre."

Im sogenannten Meeresbahnhof treffe ich Badri, einen bulligen Security Mann. Gegen ein kleines Entgeld von unverschämten 500 Rubel will er mir helfen, das Ticket zu besorgen. Als ich die Dame am Schalter anspreche, weiss ich auch warum er mir die Hilfe anbietet. Die ist ungefähr so freundlich wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten hat. Angesichts der Umstände lasse ich mich auf das Angebot von Badri ein, handele ihn aber auf 300 Rubel (ca. 9 EUR) runter. Dafür latscht er mit mir zum Zoll und geht mit seinen 120 kg voraus Richtung Hafeneinfahrt. Im Rückwärtsgang folge ich ihm die 2 km. Ist ja eigentlich eine Einbahnstrasse, aber wenn man rückwärts fährt geht das ja (in Russland). Im Hafen selber nehme ich ihn auf dem Sozius mit. Ich tue so, als wenn ich das leise Wimmern der Stossdämpfer nicht höre.

Während die Allmächtige ein Plätzchen zwischen den grossen Lkw findet, mache ich es mir auf dem Passagierdeck gemütlich. Mit 5 Stunden Verspätung legt die Fähre schliesslich um 1 Uhr nachts ab. Ein letzter Blick auf den beleuchteten Meereshafen von Sochi und das verrückte Russland. Danach verschwindet alles in der Dunkelheit. In der Bar wird indessen die Musik aufgedreht und die Türken tanzen ausgelassen.
Faehre Sochi
Bar


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