Türkei

Überwältigt bin ich von den freundlichen und hilfsbereiten Türken. Auf meinen Reisen habe ich bisher noch kein derartiges Volk getroffen. Bereits auf der Fähre lächeln die türkischen Lkw-Fahrer freundlich und bringen mir die erste Worte Türkisch bei. Auf dem Zollamt herrscht entspannte Atmosphäre. Die Beamten finden neben der Arbeit immer noch Zeit für ein freundliches Lächeln oder ein Spässchen. Ein älterer, Weintrauben essender Herr mit einem wichtigen Stempel klettert zum telefonieren mal eben durchs Fenster und stellt sich im 1.Stock aussen auf das Fensterbrett. Nach einer Weile bekomme auch ich die notwendigen Stempel und los geht's durch die Türkei.
Kemal Roadfoto Moschee


Trabzon
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Bursa

Als ich in Trabzon nach einem Geldautomaten frage, werde ich bereits das erste Mal zum Tee eingeladen. Auch wenn ich kein Türkisch kann, irgendwie verständigen wir uns. Und Lächeln kennt keine Sprachgrenzen. Am gleichen Tag noch lerne ich Sadettin und Yakup kennen. Während Sadettin mir hilft ein Hotel zu finden, lädt uns Yakup anschliessend zu Köfte in ein Restaurant ein. Von Trabzon aus besuche ich noch das Sumela-Kloster aus dem 13.Jahrhundert. Es ist versteckt weit oben in den Bergen gebaut worden. Beim Anstieg säuft mit das Motorrad mehrmals ab.
Flagge Tuerkei Roadfoto Moschee

Unterwegs an den Tankstellen kommt immer jemand vorbei, der mich auf Deutsch anspricht. Viele, die ich treffe, haben mal in Deutschland gelebt oder leben noch dort. Die meisten kommen aus Köln. Die Strassen in der Türkei sind oftmals gut bis sehr gut. Kein Vergleich zu den russischen Waschbrettpisten. Es gibt aber auch viele Baustellen. Wie ich erfahre, werden landesweit die Strassen erneuert. Die Schwarzmeerküste wird ebenfalls befestigt. Zwischen Trabzon und Samsun sehe ich über 50 grosse Bagger, die direkt am Wasser dicke Steine zu Wällen zusammenpuzzeln.
Bagger Wall

Als ich in einen schweren Regenschauer gerate, stockt der Zündung plötzlich. Mit holperdem Motor halte ich an einer Shell-Tankstelle bei Samsun. Noch bevor ich meinen Regenkombi ausgezogen habe, bringen mir die Angestellten einen Kaffee. Ich hätte sie umarmen können. Auch bei der anschliessenden, mehrstündigen Operation versorgen sie mich weiter mit Tee und Kaffee. Ich prüfe Zündkabel, Zündkerzen, Ventilspiel. Alles noch ok. Trotzdem zünden die Zylinder nicht gleichmässig. Bei einer Proberunde geht die Kiste dann komplett aus. Wassereinbruch in beiden Vergasern stelle ich fest. Die Schieber waren randvoll mit Wasser gelaufen. "Ist dann doch nur für einen Schönwetterkrieg gebaut." Ausserdem gibt es einen Kurzschluss in der Zündbox. Immer wenn ich den Deckel drauf habe, geht die Zündung nicht. Viermal baue ich den Deckel ab und wieder an.

Dann kommt wieder jemand vorbei und liest auf Deutsch meinen Namen auf dem Motorrad. Es ist Musa, der unüberhörbar einige Zeit in Köln gelebt hat und jetzt in Samsun wohnt. Er fragt, wie lange ich noch repariere und sagt dann: "Ach, da will isch doch mal gucken, dass isch disch heute noch zum Abendessen einlade." Schliesslich sitzen wir abends in einem netten Restaurant zusammen mit Aligalib, einem Freund Musas, und Hakan, dem Restaurantbesitzer. Wieder einmal bin ich überwältigt von der türkischen Gastfreundschaft.

Nach dem Regentag wird das Wetter wieder besser. Die Küstenstrasse bei Sinop am Schwarzen Meer entlang ist herrlich; viele, nicht zu enge Kurven, wenig Verkehr und faszinierende Ausblicke auf die steile Küste. Nach einem Abschiedsfoto am Meer, bei dem ich mich in den Steinen festfahre, geht es in die Berge. Die Strasse nach Kastamonu führt über einige Pässe mit bis zu 1400 m Höhe. Dem Sonnenuntergang entgegen rutsche ich durch die Kurven und geniesse die Abendstimmung.
Sinop Wanderer
Kueste Schwarzmeerstrand

Von Kastamonu aus geht es weiter durch die Berge nach Bolu. Dort schaffe ich es endlich meinen ersten, original türkischen Döner zu probieren. In ein längliches Brötchen werden Dönerfleisch, Tomaten und Gurken gefüllt. Kein Salat und keine Knoblauchsosse. Dafür kann ich das Gerät locker mit einer Hand essen, ohne dass wie sonst immer die Hälfte im Hemd landet.
Bolu Schlemmerstand

Bei einem Fotostop in einem kleinen Bergdorf fährt ein weisser Wagen vorbei, bremst und setzt zurück. Ein Mann in Uniform steigt aus (wahrsch. der Bürgermeister), drückt mir einen Bildband von dem Dorf in die Hand, lächelt freundlich, steigt wieder ein und fährt weiter.


Bursa
km 4711

Bei Iznik fahre ich an unzähligen Pfirsichplantagen vorbei und gelange schliesslich nach Bursa, wo mich Maria und Özgür herzlich begrüssen. Ich freue mich die beiden wieder zu sehen, nachdem ich Özgür vor ein paar Jahren in Heidelberg als Arbeitskollege kennen gelernt habe. Nun leben die beiden zufrieden in Bursa, wo Özgür fleissig die Produktion von Schmierstoffen leitet. Die beiden laden mich zum Iskender ein. Iskender heisst nicht nur der Mann, der angeblich den Döner erfunden hat, sondern auch das Restaurant und eben das Gericht. Das ist Pide, die unter drei Sorten Fleisch, natürlich auch Dönerfleisch, begraben ist. Das ganze wird mit Tomatensosse und dann mit heisser Butter übergossen. Dazu kommt noch ein Klecks Joghurt und fertig ist der 5-Sterne-Döner. Auf jeden Fall sehr lecker.
Oezguer Iskender

Bursa, unweit von Istanbul gelegen, ist ein grosses Industriezentrum. Hier sind neben den traditionellen Textilfabriken auch viele Autohersteller und Zulieferer angesiedelt. Im alten Stadtzentrum gibt es einen grossen Basar. Viele kleine Stände und Geschäfte bieten alles mögliche an, Kleidung, Werkzeug, Haushaltsartikel, Möbel und auch Obst und Gemüse. Hier gibt es Pfirsiche so gross wie Pampelmusen, faustgrosse Walnüsse und zwischendrin immer wieder lecker duftende Dönerbuden.

In einem Industriegebiet finde ich einige Werkstätten. Dort nutze ich die Gelegenheit und führe einige notwendige Reparaturen am Motorrad durch. Wieder werde ich zum Tee eingeladen und die Arbeiter helfen mir, wenn ich etwas brauche. Ich wechsele Öl, und die Räder werden im Gegenuhrzeigersinn getauscht. Auf den kurvigen Bergstrassen habe ich dir Reifen ordentlich "runtergewohnt" (Hans, danke für die neue Vokabel). Beim Schrauben fällt mir der Frontscheinwerfer auf die Strasse. Glas kaputt. "Verdammt", fluche ich, "wo kriegst du jetzt so ein russisches Glas her?" Dann zeigt mir einer der Arbeiter, dass da vorne um die Ecke so ein Laden ist. Da kriege ich bestimmt Ersatz. Recht hat er. Dort gibt es Scheinwerfer und Autoelektrokram in allen Variationen. Für 8 Euro erstehe ich einen neuen Reflektor mit Glas. "Prächtig", freue ich mich, "die Türken machen alles möglich."


Bursa
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Çanaccale

Von Bursa fahre ich südwestlich weiter und gelange schliesslich an die Mittelmeerküste. Dort liegt Assos. Assos ist nicht nur ein schweizer Hersteller von Edelradbekleidung (hab dort mal eine Hose für über 120 EUS gekauft), sondern auch eine alte Stadt mit einem griechischen Tempel. Ein paar Überreste sind noch zu sehen von dem Tempel. Von der Anhöhe sehe ich schon die ersten griechischen Inseln. Als ich losfahren will, treffe ich noch Luis, einen verrückten Franzosen, der mit seiner nagelneuen Honda Transalp auf dem Weg nach Jordanien ist. 9 Wochen Urlaub hat er sich aufgespart für die Strecke, die er hin und zurück fahren will.
Assos Tempel Assos
Assos Luis

Auf der kurvigen Küstenstrasse feile ich noch etwas an meiner Kurventechnik. Das Gespann neigt in Linkskurven zum Untersteuern und treibt gerade nach aussen. In Rechtskurven übersteuert es und das Hinterteil kommt rum. Wichtig ist, dass das Vorderrad Kontakt hat. Also stütze ich mich wie Eberhard Gienger auf den Lenker und lasse den Rest einfach rumrutschen. Manchmal hilft auch gezieltes bremsen, wobei ich immer noch nicht weiss, wo genau die Bremse ist.

Vorbei an Überresten von Alexandria, Paprika und Melonen geht es nach Troja, wo das berühmte Pferd steht. Dýe Stadt wurde insgesamt 5 mal übereinander gebaut. Die ältesten Funde datieren auf 3000 Jahre v.Chr. zurück. Einige Mauer- und Säulenreste sind noch zu erkennen.
Alexandria Melonenstand
Pepper Melone
Trojaner Troja


Çanaccale
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Griechenland

Nach dem morgentlichen Ventileinstellen läuft die Maschine immer noch nicht rund. Bereits in Troja hatte ich Startprobleme. Erst nachmittags komme ich los. 25 km nördlich von Canakkale, in Lapseki, nehme ich die Fähre und setze auf die europäische Seite der Türkei nach Gelibolu über. Beim Tankstopp reinige ich noch einmal die Vergaser. Es wird immer noch nicht besser. Irgendetwas stimmt nicht so recht mit dem rechten Zylinder. Als ich in der Dämmerung einen längeren Berg hochzockele, traue ich meinen Augen nicht. Der rechte Krümmer glüht so hell wie der Faden einer Glühbirne. Sofort fahre ich an den Strassenrand und lasse den Motor etwas abkühlen. Jetzt sitze ich hier in der Pampa. Von Gelibolu bin ich 20 km gefahren und bis zum nächsten Ort sind es auch 15 km. Vielleicht kann ich ja bis zum nächsten Hotel mit der Maschine weiterhumpeln. Also trete ich die alte Lady noch einmal an und versuche sie über den Berg zu kriegen. Immer wenn der rechte Krümmer wieder glüht, ziehe ich während der Fahrt den Zündkerzenstecker ab und stecke ihn nach einer Weile wieder drauf. Dann knallt es meist im Auspuff. Mit letzter Kraft rette ich mich schliesslich bis zu einem Restaurant mit Camping. Ich frage, ob ich zelten kann. “Kein Problem”, sagen die freundlichen Männer, “dort drüben ist Platz, zahlen brauchst du nichts.” Nach einem stärkenden Bier werfe ich einen Blick durch das Zündkerzenloch des rechten Zylinders. Aha, hier liegt also der Hund begraben. Das Auslassventil hatte sich zum Hitzetod entschieden. Im Ventilteller fehlt ein Stückchen. “Motor kaputt”, versuche ich den fragend guckenden Türken meine Diagnose zu erklären.
Çanaccale Faehre

Doch welch ein Segen, dass mir Ravil ein Ersatzventil mitgegeben hatte. Im 8 km entfernten Kesan soll es eine Werkstatt geben. Da ich ja so gerade wieder in Europa bin, erlaube ich mir die Unsportlichkeit und nehme die Hilfe der gelben Engel in Anspruch. Die schleppen mich schliesslich ins 8 km entfernte Kesan. Dort fuchteln sofort tausend Hände an der Allmächtigen herum, schrauben hier und dort was los. Ich mag gar nicht hinsehen, was dort alles passiert mit meinem Motorrad. Ratz fatz ist der Beiwagen abmontiert. Während das Öl aus dem Ventildeckel auf den Boden tropft, wird der Zylinderkopf demontiert. Dann verschwindet einer der Mechaniker mit dem Zylinderkopf und schleift das neue Ventil ein. Ich wechsele in der Zwischenzeit die Hupe. Das russische Horn hatte sich vernachlässigt gefühlt und quittierte kurzerhand den Dienst. Nach 4 Stunden läuft der Motor schliesslich wieder. Nach einem Abschiedsfoto von den Mechanikern und denen, die während der Operation neugierig dazu kamen, brumme ich weiter. Noch am gleichen Tag schaffe ich es über die Grenze nach Griechenland.
Beiwagen Mechaniker
Werkstattteam