Clausis Transsib-Report |
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Nach 3 Jahren in China ist Claus nun auf der Heimreise nach Deutschland. Als alter Master-Traveller ist fliegen zu unsportlich. Transsibfahren ist stattdessen angesagt. Hier sind seine Eindrücke von der Strecke Peking - Moskau. |
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Peking, die erste Station nach Verpacken und Verlassen meines Wohnortes Suzhou, gestaltet sich diesmal auffallend anders. Normalerweise ziehe ich bei Freunden unter. Zum ersten (und einzigen?) Mal nehme ich die Gelegenheit wahr, das "Far East Youth Hostel" unter die Lupe zu nehmen, das mir bislang nur aus Schilderungen bekannt war. Und in der Tat: Es verdient das Prädikat des designierten Backpackerzentrums von Peking. Alles, was einen Rucksack trägt, trifft sich hier und tauscht sich aus. So interessant die Leute, die ich kennenlerne, so abgedroschen die Themen. Es geht - naturgemäss - um Basiserfahrungen in China. Diese Themen sind nach nunmehr drei Jahren vor Ort nicht mehr sooo spannend für mich. Der Abschied nach einem Tag fällt nicht schwer. Ich bin froh, "Land zu gewinnen", in Gedanken bereits in der Mongolei und Sibirien. Dort werde ich sicherlich wieder zusammen mit und von anderen Travelern lernen können. Noch ein Wort zum "gefürchteten" Russlandvisum. Die Russen verblüffen doch immer wieder! Wenn man es irgendwie gedeichselt hat, ein originales Einladungsschreiben einer offiziellen russischen Stelle in den Händen zu halten, ferner über eine Krankenversicherung verfügt, die den Zarentreuen genehm ist (mit der deutschen Gesetzlichen hat man immer ein Problem), und VIEL Geld über den Tresen reicht, funktioniert das Visumverfahren zügiger als alles bisher erlebte. Summa summarum kostet mich das Russlandvisum ein Drittel eines Rückflugtickets; allerdings ist es schon nach zwei Stunden in den Pass gestempelt. (Und es trägt ein wunderbares Hologramm des Kreml.) Wie sangen Boney M. doch gleich? ...Oh those Russians... |
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2006-04-29 Strecken-km 1600 |
Noch 7900 km bis Köln (geschätzt); Ort: Erenhot, chinesisch-mongolische Grenze Landschaftsmerkmale verschwimmen entlang des Weges zur mongolischen Grenze. Wüstensand mit inselartigem Grasbewuchs dominiert die weite Lande. Das dunkle Gelb des Sandes vereinigt sich am Horizont mit gelblich-weissem Nebel. Erst wenn man den Blick gen Himmel richtet, werden bläuliche Streifen erkennbar, die sich dezent von dichten Wolkenbändern absetzen. Die Wüste bietet dem Auge wenig Haltepunkte. Was man jedoch von der erhobenen Position des Bahndamms aus erkennt, ist die parallel verlaufende Teerstrasse. Diese Strasse verbindet die nordchinesische W-O-Traverse in einem Stich mit der Mongolei. Es ist dies der einzige offene Grenzübergang. Also fliessen hier alle offiziellen (Kamelkarawanen ausgenommen!) grenzüberschreitenden Verkehre zusammen. Etwa alle 15 Minuten rollt ein containerbepackter LKW durch die Szene, etwas mehr Kleintransporter und -laster sind unterwegs, nur vereinzelt PKW und Busse. Weitere auffallende Merkmale sind die Sandschutzzäune, kilometerlange, aus Reiser geflochtene Kunstwerke. Da und dort werden sie von kümmerlichen Baumpflanzungen abgelöst. Schwarze Schlauchschlangen winden sich von Pflanzloch zu Pflanzloch. Der Aufwand zur Begrünung der Wüste war schon immer enorm. Überwiegend gibt es naturgemäss keine Niederschläge, aber wenn es welche gibt, dann kann der Boden das Wasser kaum aufnehmen. Also sind ENTwässerungsgräben - und man sieht sie - ebenso wichtig wie BEwässerungssysteme. Dennoch wird man des Anblicks der Natur rasch müde und konzentriert sich unwillkürlich auf die Mitreisenden... Als ich heute früh aufwache, wird überwiegend mongolisch gesprochen. Im Tonfall erinnert die Sprache ein wenig an Russisch, ist sie doch Teil der ural-altaischen Sprachfamilie. Vielleicht lässt sich auf dieser Basis Mongolisch gut mit dem kyrillischen Alphabet abbilden. So jedenfalls wird es seit 1944 praktiziert, damals jedoch von der bolschewikischen Schutzmacht verordnet.
Die sonnengegerbten Gesichter der Mogolen erscheinen voller als die
chinesischen. Die auffällig geröteten Wangen einzelner Personen tragen zu
diesem Eindruck bei. Viele der Passagiere sind auf dem Weg in die Mongolei,
schwer bepackt mit Reisetaschen und Plastiktüten. Als schauweise ausgepackt
wird, fällt mein Blick auf Schmuck, Kunsthandwerk und Kinderspielzeug, made
in China. |
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2006-05-08 Strecken-km 2300 |
Noch 9300 bis Köln (Schätzung dezent
erhöht), Ort: Ulaanbaatar, Hauptstadt der Mongolei Doch los geht’s – in chronologischer Folge – mit dem Ritt auf dem Stahlross durch die Wüste Gobi. Erscheint „die Gobi“ in China, also der Inneren Mongolei, eintönig, so ändert sich dies nach Überschreiten der Grenze in die Äußere Mongolei – von uns gewöhnlich als Mongolei bezeichnet. (China nahm 1919 die Innere Mongolei in Besitz. Russland rückte auf Bitten der mongolischen Regierung 1921 in die Äußere Mongolei ein und zog als Folge der Demokratisierungswelle erst 1990 wieder ab.) Die Gobi also erscheint, aus dem Zug betrachtet, als abwechslungsreiches, spannendes Naturschauspiel. Kamele, Pferde und Antilopen finden auf jedem noch so kargen Sandboden Nahrung. Es ist lediglich das Verhältnis Tier pro Hektar nach unten anzupassen. Entsprechend gigantisch sind die Weideflächen. Die zugehörigen nomadischen Hirten jedenfalls bekommt man selten zu Gesicht. Nur gelegentlich erkennt man in der Ferne ein Jurtenlager. Die Jurte, mongolisch: ger, bezeichnet die ursprüngliche mongolische Behausung. Das mit weißen, imprägnierten Stoffen bespannte Rundzelt ist durch dicke Wollwände gegen die Witterung geschützt und verfügt über einen zentralen Holzofen als Heizung und Kochstelle. Es bietet Wohnraum für circa vier Personen und ist – wie ich jetzt gelernt habe – immer ein wenig verqualmt. Nach rund 100km (oder zwei Stunden) quert der Zug eine felsige Tiefebene mit Namen Dalay Els. Die Landschaft ist von ausgetrockneten Flusstälern durchzogen, deren Farben und Formationen Erinnerungen an den Grand Canyon in Colorado wachrufen. Hier ist der Grundwasserspiegel offensichtlich hoch genug für einzelne Bäume und Büsche, die zu dieser Jahreszeit jedoch dürr und trocken daherkommen. Mitten in die spektakuläre Vorführung platzt die Einladung zum geselligen Abend im Speisewagen. Hier soll noch so manche „Freundschaft“ geschmiedet werden. Die vollkommene Zugfahrt, es gibt sie... Am nächsten Morgen werde ich durch dicke Eiskrusten auf wasserführenden Strömen und Bächen regelrecht aufgeschreckt. Das Landschaftsbild hat sich innerhalb nur einer Nacht komplett verwandelt. Und ich brauche einige Zeit, um dies zu begreifen. Auch sehe ich vor meinem geistigen Auge, wie die altbekannten, gefürchteten Frostbeulen anschwellen. Es ist wahrhaftig noch nicht Sommer in Sibirien. (Und tatsächlich wird diese bräunlich-gelbe Hügellandschaft auf der Höhe der Hauptstadt Ulaanbaatar als sibirisches Bergland bezeichnet.) Die sanften, abgerundeten Erhebungen sind überzogen mit Wildgras und niedrigen Büschen. An einzelnen Stellen bricht nackter Fels aus dem samtenen Überzug heraus. Die höheren Lagen sind bestanden mit Baumgruppen, und auf den Bergkuppen bilden zusammenhängende Wälder den majestätischen Abschluss. Lärchen, Birken und Pappeln prägen das noch kahle Erscheinungsbild, dem Inseln von grünen Kiefern ein wenig Farbe spenden. Die eisige Luft trägt den Geruch von Holzfeuer. Erinnerungen an Österreich im Winter. In Ulaanbaatar angekommen, werde ich von meinem Kollegen Angarag, einem freiberuflichen Kameramann und gleichzeitig Staatsbediensteten, in Empfang genommen. Am Ende sollte ich seine Wohnung für nahezu eine Woche als Basislager für meine Unternehmungen genutzt haben. Gastfreundschaft ist einer der Wesenszüge der nomadischen Bevölkerung. Sie bleibt auch dann eine stolze Tradition, wenn Mongolen in der Stadt leben. So ist es mir – abgesehen von der geplanten Übernachtung in der Jurte – während meiner Zeit in der Mongolei nicht gelungen, in einem Hotel zu übernachten. Einem diesbezüglichen Versuch kommt fast notwendig – so meine Erfahrung – die private Einladung zuvor. Unglaublich. In Diskussionen mit Angarag und den seinen erhalte ich interessante Einblicke in die Lebensweise der modernen Mongolen, die sich mitnichten als nomadische Hirten, sondern als weltoffene, kommunikationsfreudige und der Industriegesellschaft verpflichtete Bürger fühlen. Nun aber zu dem oben angekündigten Highlight: Pferdereiten für Anfänger, ohne Helm und Sicherheitsbelehrung, wild und selbstbestimmt? Dann Mongolei! Der freie Ritt auf dem vergleichsweise kleinen und gut zu „steuernden“ mongolischen Pferd löst Glücksgefühle aus, die dem Flug auf der Honda 250cc in nichts nachstehen. Man presst die Beine gegen den Körper des Pferdes, stellt sich in die Steigeisen, versetzt dem Tier einen Schlag aufs Hinterteil und ruft: „Chu chu!“ Das ist das Gaspedal für Galopp. Die Richtung gibt man mit dem Zügel vor. Es geht jede Steigung und jedes Gefälle. Ich bin high und kann kaum genug bekommen. Doch mache ich mir nichts vor. Per Pferd bis Wien, wie seinerzeit Dschingis Khans Horden, ist nur etwas für Hartgesottene. Nach neun Tagen Abenteuer in der Mongolei besteige ich den Zug mit Ziel Russland. 36 Stunden wird der Ritt nach Irkutsk dauern. Kein mongolisches Pferd, aber ein russisches Stahlross mit typischer russischer Prowodnitsa, zu deutsch: Zugbegleiterin. Heidewitzka! |
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2006-05-15 Strecken-km 3400 |
Noch 8200 bis Köln, Ort: Irkutsk mit Baikalsee, Sibirien Szenenwechsel. Russland hat sich ordentlich gemausert in den letzten zehn Jahren. Häuser, öffentliche Gebäude und Parkanlagen, Kirchen, Bahnhöfe und Fahrzeuge - vieles erstrahlt in neuem Glanz. In meinem Einladungsschreiben ist vermerkt, dass ich eine individuelle Tour unternehme. Ich kann mich reisetechnisch frei bewegen und habe keine Probleme, in ehemals Russen vorbehaltenen Hotels einzuchecken. Das ist ein beachtlicher Fortschritt. Und doch hat Russland als ehemaliges Mutterland des Sozialismus ein schweres Erbe zu tragen. In mancher Hinsicht läuft es entwicklungstechnisch hinterher oder wirkt gar fehlgeleitet. Wovor haben die Russen - im Gegensatz zu anderen Völkern, speziell zu China - eigentlich Angst? Vor Gott, vor dem Zaren, der mit der Mafia unter einer Decke steckt, vor tschetschenischen Separatisten oder gar vor sich selbst? Das öffentliche und private Polizeiaufgebot auf der Strasse, in Zügen, in Geschäften, ja selbst in Kneipen ist erschreckend. Zur Jugendzeit pflegten wir den Spruch: "Soviel Polizei hier, ich fühle mich plötzlich so unsicher." Die moderne, dynamische, am Bedarf der Menschen ausgerichtete Servicegesellschaft jedenfalls hat in Russland noch grosses Potential. Der ehemalige Sozialismus, die spezielle Siedlungs- und Zwangspolitik, die extremen Umbrüche der Neuzeit haben offenbar ihre tiefgreifenden Spuren bei den Menschen hinterlassen. Das Wort "straf" beispielsweise ist im russischen Sprachgebrauch fest verankert. Ein Leben unter Androhung von gesellschaftlichen Sanktionen verbiegt die Menschen. Die Menschen bilden den Staat. Seltsame Vorstellung, so weit entfernt von freiheitlicher Selbstbestimmung zu leben. Verstärkend wirken die extremen Distanzen und klimatischen Bedingungen in Sibirien. Sascha, der mich in überschwenglicher Freude begrüsst, zitiert treffend Piotr Tschaadajew: "Mir scheint, dass dieses Land von Gott nur zu dem Zweck geschaffen wurde, um der ganzen Welt zu zeigen, wie es nicht sein sollte." Sascha in Irkutsk - welche Freude, ihn wiederzusehen nach fünf Jahren ohne Lebenszeichen! Das von den schönen Künsten beseelte Multitalent spricht, obwohl noch nie im Ausland gewesen, tadellos deutsch und englisch, verdingt sich als Lehrer für Sprachen, Gesang und Theater - und sprüht vor Ideenreichtum. Und dann seine Mutter Nina Gregorewna. Sie hat sich nicht merklich verändert und wirkt so frisch wie vor fünf Jahren. Damals fütterte sie die junge, mutige Studentin Kathrin und ihren unerschrockenen Lebensgefährten Wolfram durch den sibirischen Winter und bot auch mir für zwei Wochen eine warme Heimstatt. Die Kathrin von heute heisst Melanie und stammt ebenfalls von der Uni Kiel. Der 650km lange und bis zu 1637m tiefe Baikalsee übte schon immer eine magische Anziehungskraft auf den Menschen aus. Und auch ich kann mich wiederum nicht entziehen. Dabei macht das aktuelle Tauwetter das im Sommer tiefblau schimmernde, im Volksmund "Kleines Meer" genannte Gewässer unberechenbar. Es ist die Jahreszeit, da sich kühne Motoristen aufs Eis wagen und höchste Gefahr laufen, ihr Fahrzeug dem See zu opfern. Nina Gregorewna als mahnendes Beispiel. Dem Reiz einer Wanderung auf der nicht mehr ganz geschlossenen Eisdecke vermag ich zu widerstehen. Nicht so der vielleicht faszinierendsten Reise entlang den Gestaden auf der Strecke zwischen Sludjanka und Port Baikal. Auf den 94km, die der Zug in nicht weniger als 6 Stunden zurücklegt, werden 39 Tunnel und unzählige Brücken und Übergänge passiert. Einen langen Atem, Schritt und viel Sportsgeist vorausgesetzt, könnte man nebenherlaufen. Schroff fällt die kaum zugängliche sibirische Berglandschaft um See hin ab. Birken- und kiefernbestandene Höhenzüge wechseln sich mit nackten Felsen ab, angenagt vom Zahn der Erosion. Keine Strasse, nur eine spektakuläre Bahntrasse wurde hier 1904 in den Fels entlang des Ufers geschlagen, um die transsibirische Eisenbahn um die - versorgungstechnisch und militärisch - notwendige Seeumfahrung zu komplettieren. Heutzutage mutet die Fahrt nostalgisch an, ist diese Trasse in den 50er Jahren doch zur Nebenstrecke verurteilt worden. Der sechstägige Zwischenstopp in Irkutsk und Umgebung wird durch einen illustren Abend im alten (Irkutsker) und neuen (Traveler-) Freundeskreis besiegelt. Im letzten Augenblick und um das Revival perfekt zu machen, stösst unsere ehemalige Weggefährtin Tanja hinzu. Die schweren, ölhaltigen russischen Salate sind wie dafür geschaffen, mit flaschenweise Dunkelbier ("teploje") hinuntergespült zu werden. In altbewährter Nachtschwärmermanier geleitet Sascha uns Rucksacktouristen zum Zug nach Tomsk. |
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